Die Prämisse: KI verändert die Arbeitswelt
Die durchschnittliche Halbwertszeit von Fertigkeiten beträgt mittlerweile weniger als fünf Jahre. (Siehe auch Blog 340: https://kompetenz60plus.ch/340-veraltetes-wissen-erfahrene-alte/ vom 16. Oktober 2023). Viele Wissensarbeiter werden feststellen, dass KI und andere neue Technologien ihre Arbeitsweise verändert haben. Im Jahr 2019 prognostizierte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dass neue Automatisierungstechnologien innerhalb von 15 bis 20 Jahren wahrscheinlich 14 % der Arbeitsplätze weltweit abbauen und 32 % davon radikal verändern würden. Diese ernüchternden Zahlen, an denen mehr als eine Milliarde Menschen weltweit beteiligt sind, erklärten noch nicht einmal den plötzlichen Aufstieg der generativen KI.
Arbeiten ist Leben
Peter Brabeck-Letmathe (79), ehemaliger Konzernchef und Präsident des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé von 1997-2008 stört sich im Interview mit Dieter Bachmann und Matthias Benz in der NZZ vom 8. November 2023, am Wort «Arbeit». Für ihn war Arbeit immer gleich Leben, das war für ihn nie ein Widerspruch. Deshalb finde er auch das heutige Gerede von der Work-Life-Balance Blödsinn. Es suggeriert, dass das eine schlecht und das andere gut sei und man es ausbalancieren müsse. Deshalb ist sein Ratschlag dieses Sprichwort: Suche dir die Tätigkeit, die dir am besten liegt und die dir Spass macht, und du wirst nie arbeiten müssen.
Der Lebenslauf
«Die Arbeit hat sich verändert. Warum bleiben die Lebensläufe gleich?» fragt Nicos Marcou, HR executive, im Beitrag auf TEDxBayonne • April 2022. Lebensläufe sind ein schrecklicher Massstab zur Beurteilung wie wir arbeiten, zudem entwickelt sich die Arbeitswelt ständig weiter. Während wir früher, zehn Jahre nach Beginn unserer Karrieren, höchstens zwei bis drei Jobs hatten, ist es mittlerweile üblich, einmal im Jahr den Job zu wechseln und gleichzeitig noch mehreren Nebenbeschäftigungen nachzugehen. Weshalb verfassen wir unsere Lebensläufe immer noch so, wie wir das einst in der Schule gelernt haben. Gehören Hobbys und Interessen aufgeführt, oder lässt man sie besser weg, vor allem wenn sie seltsam sind. Warum werden Menschen wegen etwas so Dummem, wie der Aktualisierung eines Lebenslaufs nervös? Wir versuchen, uns für die Traumstelle zu bewerben, und sind besessen von jedem Punkt und jedem Detail. Es soll der ideale Lebenslauf sein, als ob es diesen gäbe. Je nachdem, wen man fragt, sollte der Lebenslauf nur eine Seite lang sein. Andere sagen, zwei Seiten lang, optisch ansprechend gestaltet. Nicht zu viel Leerraum, aber auch nicht zu viel Text soll das Schreiben haben, sonst sieht es einfach zu unübersichtlich aus. Und dann geht es noch um die Verwendung einer attraktiven Schriftart, wie Arial oder Helvetica, die bei der Jobsuche besser helfen soll als die langweilige Times New Roman.
KI selektioniert die Bewerbungen
Die grösste Innovation bei Lebensläufen war die Konvertierung von Papier zu PDF, findet Nicos Marcou. Zu den Innovationen gehören Bewerber-Tracking-Systeme, Bots und KI künstliche Intelligenz, welche Tausende und Abertausende Lebensläufe nach Schlüsselwörtern durchsuchen, die zur Stellenbeschreibung passen. Obwohl wir unseren Lebenslauf sorgfältig vorbereiten, im Glauben, dass er von einem Menschen überprüft wird, wird dieser oft von der KI abgelehnt, bevor er überhaupt eine Person erreicht. Für uns «Alte» gehören aus der Zeit gefallene Vornamen, Altersguillotinen oder Bildanalysen zu den grossen, oft unüberwindlichen Hürden in diesen Systemen. Und doch stellen wir Bewerbende weder das Werkzeug noch den Prozess selbst in Frage. Schummeln beim den Altersangaben, beim Geschlecht oder der Ethnizität führen ebenfalls nicht zum gewünschten Erfolg. Studien haben gezeigt, dass Kandidaten bereits in den Dreissigern bei Lebensläufen mit Altersdiskriminierung konfrontiert sind. Man kann sich nur Vorstellen, wie es für jemanden ist, der aus dem Ruhestand kommt und sich mit einem Bluewin-E-Mail-Konto bewirbt.

Sein Leben auf einem Blatt Papier
Der Druck, seine Erfahrungen auf einem Blatt Papier festzuhalten, kann auch für gestandene «Alte» zu gross sein. Zur Illustration erwähnt Nicos Marcou folgendes Beispiel: Im Jahr 1482 hörte ein junger Mann, dass die Region Mailand einen Ingenieur suchte, und so tat er, was Bewerber tun. In dem vermutlich ersten Lebenslauf, der jemals erstellt wurde, schrieb er seine Fähigkeiten und Ziele sowie deren Zusammenhang mit der Rolle auf. Dieser junge Mann war Leonardo da Vinci. Obwohl einer der talentiertesten Menschen, der jemals auf dieser Erde gelebt hat, schrieb er nichts über seine bisherigen Erfolge. Er war der Vater der Architektur und Paläontologie, ein erfahrener Botaniker, Astronom und Kartograph. Der Typ, der die Mona Lisa gemalt hat. Wenn man jedoch einen Blick auf seinen Lebenslauf wirft, würde man nie vermuten, dass er in der Lage ist, irgendetwas davon zu erreichen. Also brauchen wir bei der Personalsuche eine neue Herangehensweise. Denn wenn Lebensläufe es nicht schaffen, die Genialität und das Potenzial von jemandem wie Da Vinci einzufangen, warum glauben wir dann, dass es für uns funktionieren wird?
Motivationsschreiben sind schrecklich
Warum verlangen wir in einer Zeit, in der wir Authentizität und Kreativität feiern, etwas so Konformes und Langweiliges? Lebensläufe zwingen uns nicht nur dazu, über unsere Erfahrungen zu lügen, sie zwingen uns auch dazu, alberne Begriffe zu verwenden wie «orchestriert» oder «gelenkt», die wir im Rahmen eines echten Gesprächs niemals verwenden würden. [Nicht erwähnt sind hier die immergleichen und völlig hirnlosen Stelleninserate]. Ein besserer Einsatz von Technologie, mehr Kreativität und unterschiedliche Bewerbungsmöglichkeiten führen nicht nur zu einem besseren Talentpool, sondern auch zu einem viel gerechteren Arbeitsplatz. Anschliessend geht es darum, Vertrauen und eine Kultur der Zugehörigkeit aufzubauen. Letztendlich gibt es bessere Alternativen als den Lebenslauf, aber vielleicht müssen wir nicht ganz darauf verzichten. Wenn die Betriebskultur integrativ ist, lässt man die Leute wählen, wie sie sich bewerben möchten, damit sie ihre Erfahrung individuell gestalten und ihr Bestes geben können. Von Da Vinci lernen wir, dass wir uns nicht durch unseren Lebenslauf definieren müssen. Und sobald die Arbeitgebenden dies erkennen, werden wir damit beginnen, Arbeitsplätze zu schaffen, an denen sich die Kandidaten schon vor ihrem Beitritt willkommen fühlen. Ausserdem haben wir genug Zeit, Anschreiben und Motivationsschreiben zu überdenken, denn die sind wirklich schrecklich.
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