Angst vor Veränderung
Diese Mutlosigkeit und die Selbstbemitleidung älterer Stellensuchender in den Medien, die nach 400 Bewerbungen noch keine Anstellung gefunden haben, ärgert. Seit zwei Jahren besteht die Plattform «kompetenz60plus.ch» als Gefäss zum Austausch zwischen KMU und älteren Fachleuten. In dieser Zeit hatte ich zahlreiche Gelegenheiten zur Auseinandersetzung mit dem Thema «Arbeiten im Alter», mit gestandenen «Patrons» von KMU, in der Beratung von Jungunternehmen oder mit älteren Fachkräften. Dabei stelle ich fest: Wir haben verlernt, oder nie gelernt, flexibel zu sein und uns trotz guter (Grund-)Ausbildung auf neue Situationen einzulassen. Wir sehen von vornherein nur Probleme mit angebotenen Chancen, anstatt neue Herausforderungen freudig anzupacken. Wir prokrastinieren Entscheide und hoffen, meist ohne Glück, auf optimalere Gelegenheiten. Doch der Arbeitsmarkt verändert sich rasant, auch getrieben durch die Digitalisierung. Kooperationen, Unternehmungsgründungen, flexible Arbeitsorte, Teilzeitpensen oder flache Hierarchien sind einige wenige Schlüsselbegriffe mit welchen sich auch ältere Mitmenschen vertraut machen müssten. Dazu das Beispiel aus Asien, welches uns alle inspirieren sollte.

Schneller als jede Wissenschaft
Unter diesem Titel publizierte Fabian Peters, Stylepark 03.02.2020, die Eindrücke von Raphael Gielgen, der für den Möbelproduzenten VITRA nach der Zukunft der Arbeit (Future of Work) sucht. Gielgen wollte wissen was passiert, wenn 100’000 Ingenieure und Designer jeden Tag mit dem Willen aufstehen, etwas Neues zu erfinden? Dazu reiste er mit einer Gruppe Unerschrockener ins Perlflussdelta – jene chinesische Sonderwirtschaftszone, die im weitesten Sinne das Hinterland der ehemaligen Kolonien Hongkong und Macao bildet. Fast 70 Millionen Menschen leben dort mittlerweile auf einer Fläche, die weniger als halb so gross ist wie die Schweiz. «Praktisch niemand kommt von dort» sagt Gielgen, «alle sind zugezogen. Die Chancen, die die Sonderverwaltungszone bietet, zieht Macher aus ganz China und zunehmend auch darüber hinaus an.» Gerade wurde dort etwa die längste Brücke der Welt, die Hongkong-Zhuhai-Macau-Brücke fertiggestellt, die das Perlflussdelta überspannt und das Wegenetz des Ballungsraums erheblich verbessern soll. Weitere Megaprojekte sind längst im Bau und in der Planung.
Ein riesiges Labor
«Learning Journey» nennt Raphael Gielgen diese Expeditionen, die er in regelmässigen Abständen mit wechselnden Experten, Unternehmern, Architekten und Querdenkern durchführt. Immer geht es darum, dem Zeitgeist den Puls zu fühlen, globale Entwicklungen in frühen Stadien zu beobachten und Dynamiken zu analysieren. Das Thema «Design to Production» stand im Fokus der Reise ins Perlflussdelta. Die Vielfalt an Produzenten in Kombination mit dem zur Verfügung stehenden Kapital und den «Incubators», in denen Start-ups an neuen Ideen brüten, erzeugen ein ungeheures wirtschaftliches und technisches Momentum. Im Gegensatz zum «Westen» befindet sich diese ganze Region laut Gielgen in einem permanenten Beta-Status, verbunden mit einer fröhlichen Naivität beim Entwickeln. Hier ist nichts alt, nichts eingefahren, nichts «bewährt». Das verleiht allen eine gewisse Leichtigkeit, ohne den permanenten Optimierungswahn, dem ewigen «schneller, höher, weiter».
Mut für Neues
Anders als in Europa oder, noch ausgeprägter, in Japan gebe es keine Prozesshaftigkeit in China, sagt Gielgen. Es gebe auch keine Vorstellung von Langlebigkeit, weil niemand damit Erfahrung habe. «Alles ist neu, aber das heisst auch: Es gibt keine Routinen.» Das im Westen so beklagte Silodenken habe noch gar keine Zeit gehabt einzusetzen. Dieser Zustand, so glaubt Gielgen, der in den alten Industrienationen längst vergessen sei, könne hier wiederentdeckt werden. «Wenn man etwas von hier mitnehmen kann, dann den Mut, auf Lücke zu arbeiten. Hier ist der westliche Ansatz, alle Probleme mit einer Excel-Tabelle oder einer Powerpoint-Präsentation in den Griff zu bekommen, zum Scheitern verurteilt.»
Wir «Alten»
«kompetenz60plus.ch» ist ein Sammelbecken für kompetente Senioren, die sich ihrer Verantwortung gegenüber der jüngeren Generation bewusst sind und sich aktiv an der Diskussion über die Zukunft beteiligen wollen. «Alte» im Team, auf Augenhöhe mit den «jungen Wilden», stellen ihre Erfahrung zur Verfügung. Bitte bringen Sie sich ein, wir freuen uns über Ihre Kontaktnahme per Mail an: werner@kompetenz60plus.ch. Danke!
Werner K. Rüegger, dipl. Arch. SIA AIA
Projektadministrator und Initiator
Ein Projekt «von uns. für uns.»
Web: kompetenz60plus.ch I Mail: werner@kompetenz60plus.ch I
Linkedin: kompetenz60plus.ch | facebook: wernerkruegger