Blog, Industrie 4.0

#250 – «Alte» im Team, notwendiger Paradigmenwechsel

Fachkräftemangel
Unter dem Titel «Zunehmender Fachkräftemangel: Frauen und Rentner sollen die Zürcher Wirtschaft retten» schreibt Zeno Geisseler, NZZ vom 9. Dezember 2021, über das Dilemma zwischen Fachkräftemangel und der Bereitschaft, ältere erfahrene Kräfte im Arbeitsmarkt zu behalten. Wenn die Zürcher Wirtschaft weiter wachsen soll wie bis jetzt, bräuchte es bis 2050 gemäss einer aktuellen Prognose, über 200’000 neue Arbeitskräfte. Teilzeitpensen und Frühpensionierungen werden je länger, je mehr zu einem volkswirtschaftlichen Problem. Eine grosse Herausforderung bildet jedoch der demografische Wandel, denn die Bevölkerung wird immer älter: Der Anteil der über 64-Jährigen könnte von 17 Prozent (2020) auf 23 Prozent bis 2050 wachsen, die Gruppe der 15- bis 64-Jährigen hingegen von 68 auf 63 Prozent sinken. Es gäbe voraussichtlich weniger Erwerbstätige und mehr Pensionierte.

Status Quo ist keine Option
Die Wirtschaft sollte deshalb ein vitales Interesse an älteren Mitarbeitenden haben. Für die Zürcher Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh ist «Nichts zu tun, keine Option». Neben den Teilzeiterwerbstätigen, darunter viele Frauen, aber auch Arbeitslose, gebe es auch rund 100’000 «junge» Pensionierte, Personen zwischen 60 und 69 Jahren, die diesen Mangel stoppen könnten. Neben weiteren Massnahmen gehört auch eine höhere Produktivität dank Digitalisierung als Kernpunkt einer effizienten Wirtschaft. Gemäss Walker Späh gelten in der Informations- und Kommunikationstechnik (ICT)-Branche grundsätzlich die gleichen Ansätze wie in der gesamten Zürcher Wirtschaft: Frauen und Ältere sollen einen grösseren Beitrag leisten. Es müssten Wege gefunden werden, das Potenzial der 58- bis 70-Jährigen zu mobilisieren, sagte Alain Gut, ein Vertreter der Branche.

Portrait Jeanne Hébuterne, 1919, Amedeo Modigliani (1884–1920)

Altersparadoxon
Ein Paradigmenwechsel ist die Veränderung bestehender Denk- und Verhaltensmuster. Dazu müssen wir jedoch gewohnte Sichtweisen erkennen, verstehen und der Realität anpassen. Denn Alter ist keine Krankheit! Ein ehemals völlig normaler Lebensabschnitt wird von unserer Gesellschaft immer mehr pathologisiert. Seit Beginn der Pandemie vor bald zwei Jahren auch von Politik und Behörden. Wir «Alten» tragen durchaus noch etwas zur Gesellschaft bei. Wir haben zwar nicht mehr das Wissen der «jungen Wilden», aber viel Erfahrung, Weisheit, Leidenschaft, Empathie, Respekt und Ausdauer. Unsere Karrieren sind gemacht, wir dürfen entspannt in die zweite Reihe treten. Wir lassen uns immer noch begeistern und sind auch gerne bereit den Jungen, auf Augenhöhe, ohne Mahnfinger und Besserwisserei, mit Rat und Tat beizustehen. Was die Wissenschaft heute das «Altersparadoxon» nennt, lässt sich so zusammenfassen: Je älter wir körperlich werden, desto wohler fühlt sich unser Geist.

Zu jung für den «Ruhestand»
Mit 65 in den Ruhestand zu treten, findet der Philosoph Ludwig Hasler deshalb einen Irrsinn. Professuren stehen meist in einem unbefristeten Anstellungsverhälnis. Um dem «Sesselkleben» vorzubeugen, wird (zu) oft das gesetzliche Pensionsalter zum Rücktritt eingefordert. So kommt es, dass die Geotechnikerin und ETH Rektorin Sarah Springman (64) nach einem Vierteljahrhundert an der ETH Zürich und nach sieben Jahren in der Schulleitung das Amt an den Teilchenphysiker Günther Dissertori übergibt. (NZZ vom 7. Dezember 2021). Die äusserst beliebte Rektorin, Mentorin und Vorbild jüngerer Generationen, wird ab Februar 2022 Direktorin des 1893 gegründeten St Hilda’s College der Universität Oxford, England.

Erfahrung basiert auf Vergangenheit
«Das haben wir schon immer so gemacht», «der Mensch ist ein Gewohnheitstier» oder auch «das ist historisch so gewachsen» hört man leider viel zu oft. Dank unseres Gedächtnisses erinnern wir uns an Vergangenes. Dies erklärt auch weshalb ältere Probanden, zur Erledigung eines Vorhabens, im Labor schlechter abschneiden als jüngere. In ihrer gewohnten Um­gebung zeigen sie dagegen bessere Leistungen. Es gibt auch 60-Jährige, die sind frei von Erfahrung. Sie pochen auf ihr Wissen von gestern, fühlen sich bedroht durch die Mentalität der Jungen. Der ECO Talk vom 6. Dezember 2021 mit Reto Lipp, hat meine Observation bestätigt, wie Überheblichkeit von uns «Alten» gegenüber den «jungen Wilden» jegliche Zusammenarbeit erschwert. Man hat viel Erfahrung, aus Führungspositionen, Militär oder Politik und lässt dies wiederholt durchblicken. Solch hierarchisches Denken ist vielen Jungen fremd. In der Diskussion versuchen sie Brücken zu bauen und riskieren dabei, mit ihren «Unzulänglichkeiten» konfrontiert zu werden. Etwas mehr Demut unsererseits wäre angebracht. Der Respekt der Jungen kommt von selbst, wo wir «Alten» Akteure uns aufrichtig für deren Zukunft einsetzen.

«kompetenz60plus.ch»
Mit unserer Erfahrung aus der analogen, zusammen mit Erkenntnissen aus der digitalen Welt, sind wir «Alten» gerne bereit, diese mit KMU’s oder im Team mit jungen Forschenden und Wissenschaftern auf Augenhöhe zu teilen. «kompetenz60plus.ch» ist ein Sammelbecken für kompetente Senioren, die sich aktiv an der Diskussion über die Zukunft beteiligen wollen. Bitte bringen Sie sich ein und registrieren Sie Ihre Kompetenz kostenlos hier. Wir freuen uns auch über Ihre Kontaktnahme per Mail an: werner@kompetenz60plus.ch, oder hinterlassen Sie Ihren Kommentar weiter unten. Danke!

Werner K. Rüegger, dipl. Arch. SIA AIA
Projektadministrator und Initiator


Ein Projekt «von uns. für uns.»
Web: kompetenz60plus.ch I Mail: werner@kompetenz60plus.ch I
Linkedin: kompetenz60plus.ch | facebook: wernerkruegger