Blog, Industrie 4.0

#231 – «Alte» unter dem Brennglas

Was die Pandemie mit uns gemacht hat: «Alte» und «Junge» im Gespräch
In der zweiten Folge der CLUB-Sommerserie auf SRF vom 27. Juli 2021, diskutierten die Co-Moderierenden Barabara Lüthi und Kurt Aeschbacher mit ihren Gästen im Alter von 19 bis 78 Jahren zum Thema: «Corona – Alt und Jung». Was heisst es, wenn «Alte» plötzlich zu einer Risikogruppe gehören und wie haben Junge die Pandemie erlebt? Hat COVID-19 das Generationen-Verhältnis, den Generationenvertrag verändert? Verstörend war vor allem, wie die Behörden, unser Staat, das Alter interpretieren, unterschiedlich von Kanton zu Kanton, Gemeinde zu Gemeinde. So entschied zum Beispiel der Kanton Uri im März 2020, alle über 65-jährigen unter Drohung wegzusperren, ungeachtet ihrer individuellen Situation. In der Gemeinde Gwatt (Thun) erhielten alle über 65-jährigen einen Brief mit der Aufforderung, das Haus/die Wohnung nicht mehr zu verlassen. Wir «Alten» standen plötzlich am «Covid-Pranger», als Teil eines Problems, das es zu bekämpfen galt.

Relativierung des Alters
In den Diskussionen über die Risikogruppen der COVID-19 Pandemie, wird das biographische oder chronologische immer wieder mit dem biologischen Alter vermischt. Das biographische Alter misst die Zeit, es ist die geläufige zeitliche Altersangabe, die sich nach dem Geburtsdatum errechnet. Mit 64 für Frauen, respektive 65 Jahren für Männer erreicht man in der Schweiz das «Ende der Fahnenstange». Dagegen ist mit dem biologischen Alter der Zustand des Körpers gemeint und gibt den Gesundheitszustand im Vergleich zum Durchschnitt an. So entstand die Situation, wo in Altersheimen Menschen eingesperrt wurden, ungeachtet ihrer geistigen Fähigkeiten oder ihrem Gesundheitszustand. Sie durften keine Besuche mehr empfangen, auch nicht von ihren engsten Angehörigen und Ehepartnern. Soziale Kontakte unter den Jungen, wie Reisen, Ausgang oder ein «normales» Studentenleben, wurden über ein Jahr lang verunmöglicht. Der analoge Austausch, Besuche von Konzerten, Theaterauftritte oder Referate, war nicht mehr möglich. Während die einen von einem verlorenen Jahr sprachen, nutzten andere diese Zeit zum Reflektieren und für neue Erfahrungen auf persönlicher Ebene.

Foot and Hand 1964, Roy Lichtenstein (1923-1997), amerikanischer Pop-Art Künstler.

Corona als «Brennglas» für bestehende Unzulänglichkeiten
Nicht die Erfahrung von uns «Alten» wird wertgeschätzt, sondern unser biografisches Alter als potenzielle Gefahr wahrgenommen. Dabei ist Lebenserfahrung etwas Positives. Neugierde und Kreativität sind nicht an eine Jahreszahl gebunden. Es gibt genügend Junge, welche in antiquierten Denkmustern verharren. Das biologische Alter ist zwar ein Gradmesser für den individuellen körperlichen Zustand und die Gesundheit eines Menschen. Beeinflusst wird dieses durch den Lebensstil, die Ernährung und Bewegung, den geistige Zustand sowie die sozialen Kontakte. Als älterer Mensch hat man oft weniger Energie auf Dauer, ist etwas ungeduldiger. Die teils drakonischen Pandemiemassnahmen haben jedoch die Lebensleistung und den Einsatz älterer Menschen für die Gesellschaft, die notabene zur Entlastung staatlicher Aufgaben beitragen, völlig ausser acht gelassen. Die Mitwirkung in einer lebendigen Gemeinde und unser Beitrag im Zusammenleben wurde zu schnell vergessen. Dies, obwohl sich in der «selbsternannten» Corona-Taskforce, wie im Bundesrat, ebenfalls ältere Semester befinden. Dank unserer Erfahrung sind wir «Alten» befähigt, Herausforderungen schneller einzuschätzen. Der autoritäre Charakter vergangener Zeiten schien vor Corona endgültig ausgedient zu haben. Nie, so schien es, lebten wir in einer freieren Gesellschaft. Ein kleines Virus hat uns kurzerhand auf den Boden der Realität zurückgebracht. Es hat vieles aufgezeigt: Chancengleichheit besteht nicht in allen Branchen, Alter ist eine grosse Hypothek und unser Wohlstand ist oft nicht gesichert.

Solidarität und neue Normalität
Was mich an der CLUB-Diskussion sehr beeindruckte, waren die Argumente und mit welcher Eloquenz diese von den «Jungen» in der Runde vorgebracht wurden. Sie zeigten ohne Hemmungen auf die Schwachstellen im System, fanden aber beim Gegenüber, meiner Meinung nach, nur mässig Gehör. Man verharrt auf den bekannten und vorgefassten Positionen. Zwar haben wir «Alten» den (vermeintlichen) «Fortschritt» erarbeitet, von dem die Jungen nun profitieren, doch müssen wir die Chance packen und solidarisch aufeinander zugehen, sonst wird die neue Normalität bald wieder die Alte sein. Erwähnt wurden der innere Reichtum und die äussere Freiheit. Verfolgt man den demografischen Wandel, zeigt sich, dass ab dem Jahr 2023 mehr Menschen über 65 Jahre, als unter 20 Jahre alt sein werden. «Masse gleich Macht» würde folglich heissen, dass wir «Alten» über die Zukunft bestimmen werden, zumal Junge mehrheitlich der Urne (aus gutem Grund?) fernbleiben. Deshalb muss sich die Vorstellung vom Alter als reine Zahl ändern. Wir «Alten» sind privilegiert (gute Gesundheit vorausgesetzt) und müssen die «geschenkten Jahre» nutzen um der Gesellschaft weiterhin zu dienen. Wir müssen interessiert sein, an Lösungen für die aktuellen Herausforderungen, wie Klimaschutz, Nachhaltigkeit oder Gleichberechtigung, im Team mit den «jungen Wilden» mitzuwirken. Alt ist nur, wer sich zurückzieht und nicht mehr neugierig ist oder sich nicht mehr begeistern lässt. Zusammen müssen wir lernen, mit Ungewissheiten umzugehen und Wichtiges mit anzupacken.

«kompetenz60plus.ch»
Mit unserer Erfahrung und Engagement aus der analogen Welt sind wir «Alten» gerüstet, im Team zusammen mit dem digitalen Wissen der «jungen Wilden», Prioritäten und Ideen mit Engagement und auf Augenhöhe in Ergebnisse umzusetzen. «kompetenz60plus.ch» ist ein Sammelbecken für kompetente Senioren, die sich ihrer Verantwortung gegenüber der jüngeren Generation bewusst sind und sich aktiv an der Diskussion über die Zukunft beteiligen wollen. Bitte bringen Sie sich ein und registrieren Sie Ihre Kompetenz kostenlos hier. Wir freuen uns auch über Ihre Kontaktnahme per Mail an: werner@kompetenz60plus.ch, oder hinterlassen Sie Ihren Kommentar weiter unten. Danke!

Werner K. Rüegger, dipl. Arch. SIA AIA
Projektadministrator und Initiator


Ein Projekt «von uns. für uns.»
Web: kompetenz60plus.ch I Mail: werner@kompetenz60plus.ch I
Linkedin: kompetenz60plus.ch | facebook: wernerkruegger

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#172 – Vertrauen in «kompetenz60plus»

Vertrauenskrise
Am Freitagabend vor Pfingsten besuchten meine Frau und ich zum ersten Mal seit dem Lockdown wieder ein Restaurant, mit gemischten Gefühlen. Nicht eine Gartenwirtschaft, sondern ein Ort in einem ehemaligen Fabrikgebäude mit hohen Räumen und viel Luft. Die Atmosphäre war, dank sparsamem Einsatz von Plexiglas, erfreulich entspannt und die Bedienung ungewöhnlich nett. Wir beide haben das Glück, vom potenziell tödlichen Virus verschont worden zu sein, auch dank dem Befolgen der Vorsichtsmassnahmen. Nach zweieinhalb Monaten in der vom Bundesrat, mit Unterstützung des BAG, empfohlenen Quarantäne für alle über 65-jährigen müssen wir uns nun erst wieder an das «Recht auf Selbstbestimmung» gewöhnen. Das derzeit massgebliche Pensionsalter zum Richtwert für die flächendeckende Diskriminierung von älteren Menschen als Risikogruppe zu erklären, erweist sich womöglich als Bumerang. Nicht nur verlieren wir Älteren unseren Platz im Erwerbsleben auf Grund von Wissensdefiziten oder den angeblich «hohen» Kosten, nun stellen wir noch eine zusätzliche Gefahr für das gesamte Gesundheitswesen dar. Thomas Fuster schreibt in seinem Kommentar in der NZZ vom 29. Mai 2020, dass man wirtschaftliches Vertrauen nicht mit milliardenschweren Finanzpaketen kaufen kann. Der Aufschwung beginnt im Kopf, hiess es bei früheren Krisen. Ich bin der Überzeugung, das gilt auch für den Vertrauensverlust von Arbeitgebenden im Umgang mit älteren Arbeitnehmenden.

Treppenhaus, frei nach Maurits Cornelis Escher, Copyright: TJ Blackwell 2013

Risikogruppen und besonders zu schützende Personen
Die innere Zerrissenheit, die Arbeitgebende beim Blick auf Statistiken und Risiken bisweilen verspüren, gilt erst recht derzeit, beim verfolgen der täglichen Nachrichten und Kommentare. Bilder wie die Leichentransporte in Bergamo oder die peinlichen Widersprüchlichkeiten zum Maskentragen, prägen bis heute unsere Perzeption der Lage. Aber auch wir «Alten» sind schuld daran, wenn wir nicht mehr gefragt sind. Wir haben die Kommunikation den (oft ebenfalls «Alten») Experten und den Medien überlassen, ohne unsere Lebenserfahrung geltend zu machen. Selbst Organisationen die sich angeblich mit Angeboten für alle Lebensbereiche im Alter befassen, waren mit konstruktiven Ideen in der Öffentlichkeit kaum sichtbar. «Alte» als Gefahr für das Gesundheitswesen mussten, wie im Kanton Uri geschehen, umgehend weggesperrt werden. In vielen Gemeinden fand man es angebracht, ältere Mitbürger*innen, ungeachtet ihres Gesundheitszustands, in einer amtlichen Mitteilung vom Verlassen ihres Daheims streng abzuraten.

Keine Isolierung der «Alten»
Gegen diese flächendeckende und undifferenzierte Bevormundung von älteren Mitmenschen, notabene die Generation welche mitgeholfen hat unseren Wohlstand aufzubauen, müssen wir uns wehren. Das chronologische Alter von Menschen darf nicht über die Teilhabe an der Gesellschaft entscheiden. Als Folge der temporären Schliessung von Unternehmungen, darf die Erfahrung von älteren Fachkräften durch den medial inszenierten Vertrauensverlust nicht verloren gehen. Krisenerprobte «Alte», Leute mit Empathie, einer gewissen Grosszügigkeit und Abgebrühtheit für Entscheide in Notsituationen, haben nach wie vor eine wichtige Aufgabe in der Gesellschaft. Das heisst, dass wir unsere Strategien zwingend koordinieren müssen, um das Virus zu besiegen. Das echte Antidot gegen Epidemien ist nicht Segregation, sondern Kooperation. Solidarität und gegenseitige Hilfe in dieser Krise sind kein Luxus, sondern ein Schlüssel zum Erfolg. Wir «Alten» stehen deshalb in der Pflicht, im Team zusammen mit den Jungen auf Augenhöhe und mit Offenheit für Neues, unseren Beitrag zu leisten. Wir müssen gewillt sein, flexibel in alternativen, mitunter auch digitalen, Strukturen mitzuwirken.

Leidenschaft und Erfahrung von «Alten» als Ressource
«kompetenz60plus.ch» ist ein Sammelbecken für kompetente Senioren, die sich ihrer Verantwortung gegenüber der jüngeren Generation bewusst sind und sich aktiv an der Diskussion über die Zukunft beteiligen wollen. «Alte», Frauen und Männer im Team, auf Augenhöhe mit den «jungen Wilden», stellen ihre Erfahrung, auch in der Krise mit Leidenschaft zur Verfügung. Bitte bringen Sie sich ein uns registrieren Sie Ihre Kompetenz kostenlos hier. Wir freuen uns auch über Ihre Kontaktnahme per Mail an: werner@kompetenz60plus.ch. Danke!

Werner K. Rüegger, dipl. Arch. SIA AIA
Projektadministrator und Initiator


Ein Projekt «von uns. für uns.»
Web: kompetenz60plus.ch I Mail: werner@kompetenz60plus.ch I
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