Alter als Hypothek?
Die Corona-Pandemie hat etwas sichtbar gemacht, was bereits latent vorhanden war: Wir «Alten» werden zusehends zur Hypothek. So entschied zum Beispiel der Kanton Uri im März 2020, alle über 65-jährigen wegzusperren, ungeachtet ihrer individuellen Situation. Während dem Spitalaufenthalt des Präsidenten wurde sich Amerika wohl stärker denn je bewusst, dass nicht nur das Präsidentenamt, sondern ein wesentlicher Teil der Staatsführung in den Händen älterer Männer und Frauen liegt, die dadurch einem überdurchschnittlichen Risiko der Covid-19-Seuche ausgesetzt sind. Donald Trump ist 74, sein demokratischer Rivale Joe Biden 77. Dieser wäre bei einem Wahlerfolg am Ende seiner ersten Amtszeit 82 Jahre alt. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi, die nach dem Vizepräsidenten Mike Pence (61) die geordnete Nachfolge des Präsidentenamts garantieren müsste, ist 80. Der Nächste in der Kette der Amtsnachfolger wäre der Interimspräsident des Senats, Chuck Grassley, der 87 Jahre alt ist. Nicht die Erfahrung von uns «Alten» ist im Zentrum dieser Diskussion, sondern unser biologisches Alter als potenzielle Gefahr. Ganz unschuldig sind wir nicht an diesem Zustand. Zulange haben wir Alt-68er zum Beispiel die digitale Entwicklung verdrängt und klammern uns immer wieder an die Illusion, den Fortschritt aufhalten zu können. Es geht uns soweit gut. Stichwort: hartnäckige Sesselkleber.

Offenheit, Diversität und Multikulturalität
In seinem Beitrag in der NZZ vom 5.10.2020 philosophiert Alexander Grau unter dem Titel «Der autoritäre Charakter ist zurück: warum es ein neues (und anderes) 68 braucht» über die Toleranten, die sich als intolerant erweisen. Wir leben in einer antiautoritären Gesellschaft, und wir sind stolz darauf. Institutionen wie Universitäten, Kirchen oder Parlamente, die noch vor wenigen Jahrzehnten Ehrfurcht einflössten, werden heute müde belächelt. Lehrer, Pfarrer und Polizisten haben ihre Aura als Respektsperson schon lange verloren. Hierarchien werden flacher. Solide Manager gefallen sich inzwischen in sportiven Tennisschuhen, Theaterintendanten sind mit dem Kapuzenpullover unterwegs, altehrwürdige Unternehmen schmeissen sich mit einem platten «Du» an ihre Kundschaft heran. Was einmal gute Manieren waren, empfinden die meisten Zeitgenossen als Einschränkung ihrer persönlichen Autonomie. Je lauter man seine Meinung vertritt, umso wahrer wird sie. Stichwort SRF «Arena». Der autoritäre Charakter vergangener Zeiten, er scheint endgültig ausgedient zu haben. Nie, so scheint es, lebten wir in einer freieren Gesellschaft.
Die antiautoritäre Gesellschaft zeigt ihr autoritäres Gesicht
Auf der anderen Seite erleben wir eine Sehnsucht nach Verboten, Vorschriften und Autorität. Rauchen, Trinkverhalten und Ernährung sind seit Jahren in das Visier von Regulierungsfanatikern geraten. Fernreisen und Kreuzfahrten gelten zunehmend als moralisch verdächtig, vom Autofahren (im beliebten SUV) ganz zu schweigen. Mehr noch stehen aber die freie Rede, der offene Meinungsaustausch und das unkuratierte Denken am Pranger, auch in den traditionellen Medien, in der Politik und im Kulturbereich. Stichwort: «inklusive Sprache».
Das platte «Du» als Identifikation
Da aber auch egalitäre Gesellschaften Fachleute für das richtige Verhalten brauchen, bilden sie neue Autoritäten aus. Autorität hat nun nicht mehr der Professor, der Meister oder der Polizist, sondern die Diversity-Beauftragte und die Antidiskriminierungsstelle. Ihre Macht liegt nicht in der Tradition eines Berufsstandes oder gar einer fachlichen Qualifikation, sondern in ihrer ideologischen Gesinnung. Der autoritäre Charakter, einst Feindbild der 68er-Bewegung, ist wiederauferstanden, nicht wie sein biederer Vorgänger prüde oder verklemmt, sondern spassorientiert und scheinbar weltoffen. Auf «Du» mit der restlichen Gesellschaft. Gegen diesen Ungeist von Neopuritanismus und Neoautoritarismus helfen nur Mut, Neugier und die Anarchie des freien und unvoreingenommenen Denkens. So paradox es klingt: Es braucht ein neues 68, nur diesmal andersherum. Wir «Alten» müssen unsere (Lebens-)Erfahrung souverän in die Diskussion werfen, nicht Rechthaberisch sondern bestimmt.
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«kompetenz60plus.ch» ist ein Sammelbecken für kompetente Senioren, die sich ihrer Verantwortung gegenüber der jüngeren Generation bewusst sind und sich aktiv an der Diskussion über die Zukunft beteiligen wollen. Wir «Alten», Frauen und Männer, im Team auf Augenhöhe mit den «jungen Wilden», stellen unsere Erfahrung mit Leidenschaft zur Verfügung. Bitte bringen Sie sich ein und registrieren Sie Ihre Kompetenz kostenlos hier. Wir freuen uns auch über Ihre Kontaktnahme per Mail an: werner@kompetenz60plus.ch, oder hinterlassen Sie Ihren Kommentar weiter unten. Danke!
Werner K. Rüegger, dipl. Arch. SIA AIA
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