Technologie sucht Kunde
Im heutigen Gespräch mit einem Startup in der Bau- und Softwarebranche, waren wir uns einig: Nicht das Alter der Beteiligten, sondern deren Philosophie gegenüber digitaler Information ist entscheidend. Nicht alles soll mittels Excel-Tabellen quantifiziert und «linear» verarbeitet werden. Gefragt sind neue Prozesse, welche dank Computertechnologie zu nachhaltigeren Resultaten führen. Dazu können auch wir «Alten» einiges Beitragen. «Ich bin enttäuscht….», begann der Kommentar von Matthias Knuser, CEO bei Raumgleiter AG Virtual Reality Plattform, auf dem Medienkanal LinkedIn: Die Swissbau Compact ist vorige Woche zu Ende gegangen. Es war super, die Leute wieder mal zu sehen und sich auszutauschen. Aber waren es wirklich neue Themen? Haben wir nicht dieselben Geschichten schon vor zwei Jahren erzählt? Ja, es gibt zusätzlich noch zwei dutzend Technologien mehr. Zusätzliche Technologien, die noch mehr Schnittstellen erfordern und individuelle Insellösungen bringen. Technologie sucht Kunde, oder um Mark Imhof, Geschäftsführender Partner bei «Luucy», die Plattform für Raum- und Immobilienentwicklung, zu zitieren: «Es gibt nicht für jede Lösung ein Problem». Kommt die Branche so weiter, wenn es immer mehr Einzellösungen gibt und jeder auch noch ein Gärtchen aufmacht und bepflanzt?
Neue Prozesse sind gefragt
Knuser antwortet gleich selber: Wenn wir doch wirklich produktiver werden wollen, braucht es neue Prozesse, die gesamthaft gedacht sind. Wo wir auch mal wieder was rausnehmen als immer nur noch mehr zu addieren. Wo wir auch mal konsolidieren und weniger, dafür die richtigen Leute im Projekt haben. Brauche ich wirklich das 10. Tool im Workflow oder müssten wir mal über den Workflow an sich sprechen? Aber dürfen wir überhaupt so was ansprechen? (Wer visionäre Ideen entwickelt, muss damit leben können, nicht verstanden zu werden, sagt Mark Imhof dazu). Dürfen wir bestehende Strukturen durchbrechen, wenn damit etablierte Dienstleistungen obsolet werden? (Beispielsweise Bewilligungsverfahren oder Lobby-Organisationen). Der Widerstand ist riesig, schliesslich will ja niemand von «seinem» Kuchen was abgeben. Da halten wir doch lieber am Alten fest, es hat ja auch funktioniert. Und die Bauherrschaft zahlt es ja, das Budget war doch immer schon so… Ich würde es wirklich begrüssen, wenn wir beginnen würden, viel mehr über Prozesse zu sprechen. Technologie können wir, das haben wir bewiesen. Jetzt geht es um die Produktivitätssteigerung mittels neuen Prozessen (und nicht Prozessoptimierungen oder noch schlimmer – Prozessdigitalisierungen).

Kein Zurückgreifen auf die «ursprüngliche» Variante
Eduard Kaeser Physiker und promovierter Philosoph, schreibt im Gastkommentar «Murks happens» in der NZZ vom 27.11.2019 warum wir immer weniger verstehen werden, was wir tun: Selten kommt das, was wir technisch anpacken, so heraus, wie wir es uns gedacht haben. Technologie, unseren Köpfen entsprungen, wächst uns über den Kopf – buchstäblich. Wir überschauen und durchschauen sie immer weniger, uns fehlt der Kompass für den Kurs ihrer Entwicklung. Immer mehr Menschen beteiligen sich dank neuen technologischen Möglichkeiten am vermeintlichen Fortschritt. Eduard Kaeser erwähnt in diesem Zusammenhang die Akkretion, ein Anlagern von immer mehr Systemkomponenten; und von verschränkter Interaktion, dem Hinzufügen von immer mehr Verknüpfungen zwischen den Komponenten. Junge müssen sich immer weniger um die Ursprünge dieser Technologien kümmern. Meist ist es auch unmöglich auf die «ursprüngliche» Variante zurückzugreifen, auseinandernehmen und von null auf zu revidieren. Das Flugzeug, das die Brüder Wright 1903 bauten, war ein Ausbund an Einfachheit, konstruiert aus einer geringen Zahl von Komponenten. Eine Boeing 747 weist etwa sechs Millionen Hardware-Komponenten auf.
Kaesers «Murks-Prinzip»
Akkretion birgt ein ernsthaftes Problem. Wir kennen es aus unserem heimischen Do-it-yourself. Wir «bessern» den morschen Dachboden mit Latten, Platten, Streben und Planen «aus», vernetzen die elektrischen Geräte mehr schlecht als recht mit einem Kabelsalat, dichten die sanitäre Anlage im Keller mit Draht, Klebeband und Zusatzrohren ab. Dabei handelt es sich um eine zusammengeflickte, behelfsmässige, temporäre, mitunter unnötig komplizierte Lösung eines technischen Defekts oder Problems, kurz, ein Murks. Das gilt natürlich auch für Software. Je komplexer, desto «murksiger» wird sie. Schliesslich ist der Code nicht mehr entschlüsselbar, geschweige denn auf Fehler zu testen. Viel eher bauen wir deshalb auf funktionierenden Murks, und versuchen, ihn schrittweise zu verbessern. Wir bekommen es immer mehr mit Zufall, Nichtvoraussagbarkeit und «Renitenz» der Systeme zu tun. Eduard Kaeser plädiert deshalb für eine demutvolle Vigilanz, in Anlehnung an den renommierten holländischen Algorithmendesigner Edsger Dijkstra, der den Begriff des «demutvollen Programmierers» prägte. Demut meint das Eingeständnis, künstliche Systeme nicht vollständig durchschauen zu können; Vigilanz meint das nicht erlahmende Bemühen, sie nach bestem Stand des Wissens zu verstehen und zu kontrollieren. Genau hier müssen wir «Alten» uns einbringen. Nicht mittels Besserwisserei, sondern demütig versuchen, in Zusammenarbeit mit den «jungen Wilden», unsere Erfahrung nutzbar zu machen. Kaeser bemerkt dazu, wie künftige Systeme wahrscheinlich nicht nur komplexer sein werden, als wir Menschen uns das jetzt denken, sondern komplexer, als wir uns das je denken können. Technik tendiert zur Transzendenz.»
Flüssige Schnittstellen zwischen Mensch und Computer
Eine weitere Herausforderung besteht in der Technologie der Hardware selbst. Die Bedienung von Computerprogrammen geschieht seit deren Anfängen über mechanische Tastaturen, Schaltungen oder druckempfindliche Oberflächen. Zwar sind Sprachbefehle wie Siri oder Alexa mit beschränkten Anwendungen im Einsatz. Wirklich weit entwickelt sind diese jedoch nicht, oft fehlen die Schnittstellen zu externen Applikationen und das Vokabular ist je nach Sprache sehr beschränkt. Beim Arbeiten mit Grafikprogrammen sind wir weiterhin auf Tastenkombinationen und Mausklicks angewiesen, was unserem «Gedankenfluss» mehr als hinderlich ist. Das Äquivalent der direkten «Hirn-zu-Hand» Umsetzung fehlt bis heute. Forscher nehmen sich diesem Problem an und versuchen mittels Erkenntnissen der Neurowissenschaften den Aufbau und die Funktionsweise von Nervensystemen in unserem Gehirn zu untersuchen. Oft gibt es darüber hinaus Kooperationen mit angrenzenden Wissenschaftsbereichen wie der Informationstechnik, der Informatik oder der Robotik. Ziel ist, flüssige Schnittstellen zwischen Mensch und Computer zu schaffen.
Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz
Dabei gäbe es durchaus einige wirkliche Neuerungen. Marie-Astrid Langer berichtet in der NZZ vom 12. Mai 2022 aus der jährliche Entwicklerkonferenz, die Google iO, in Mountain View Kalifornien. CEO Sundar Pichai erwähnte dort «Augmented Reality», die erweiterte Realität, als das nächste Wachstumsfeld, an dem Google intensiv forsche. «Die Magie von Technologie kommt erst wirklich zum Leben, wenn man sie im realen Leben einsetzen kann», sagte Pichai bei der Präsentation einer neuen, künstlich intelligenten Brille. Nicht die an der Swissbau eingesetzten «Schnorchel- oder Skibrillen», wo man seine Orientierung in der Umgebung total verliert, sondern eine (fast) normale Brille, bei der die Informationen auf die Gläser projiziert werden. In einem kurzen Videoclip (1:46 Min.) demonstrieren eine taube Frau und eine Englisch sprechende Tochter, die so mit ihrer Mandarin sprechenden Mutter besser kommunizieren konnte, die Funktion der «Untertitel für das reale Leben».
Maschinen lernen schnell
Auch mit Blick auf Software gab es an der Konferenz einige Neuerungen. Da ging es scheinbar nicht mehr nur um proprietäre Apps, Insellösungen oder Plattformen bei denen die Maschine bestimmt wie wir arbeiten. Mittels Sprachassistenten, Erkennungssoftware oder Bewegungssensoren soll es möglich sein, unsere Kreativität intuitiv und frei von technischen Zwängen zu entfalten und den Computer dank immer grösserer Rechenleistung einfach mal Maschine sein zu lassen. Google zeigte, was dank Machine Learning und Spracherkennung heutzutage möglich ist. Künftig liefert ein Algorithmus den Nutzern von Google Docs, Google Meet, Videos und anderen Produkten eine Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte. Auch auf Youtube sollen mehr Videos automatisch in Kapitel unterteilt werden, damit Nutzer schneller die für sie relevanten Inhalte finden. Denn aus Erfahrung wissen wir, wie viel Zeit wir mit lästigem Suchen nach Informationen verbringen.
«kompetenz60plus.ch»
Mit unserer Erfahrung aus der analogen, zusammen mit Erkenntnissen aus der digitalen Welt, sind wir «Alten» gerne bereit, diese mit KMU’s oder im Team mit jungen Forschenden und Wissenschaftern auf Augenhöhe zu teilen. Suchen Sie einen Mentor, eine Mentorin oder Coach, «kompetenz60plus.ch» ist ein Sammelbecken für kompetente Senioren, die sich aktiv an der Diskussion über die Zukunft beteiligen wollen. Bitte bringen Sie sich ein und registrieren Sie Ihre Kompetenz kostenlos hier. Wir freuen uns auch über Ihre Kontaktnahme per Mail an: werner@kompetenz60plus.ch, oder hinterlassen Sie Ihren Kommentar weiter unten. Danke!
Werner K. Rüegger, dipl. Arch. SIA AIA
Projektadministrator und Initiator
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