Wir Menschen sind keine Stubenhocker
«Meiner Ansicht nach sind wir Menschen nicht dafür geschaffen, in der Stube herumzusitzen. Wir brauchen mehr, wir brauchen Bewegung, Ereignisse. Dadurch verlangsamen wir die Zeit, die uns gegeben ist.» So antwortete der international bekannte Bündner Künstler Not Vital (74) aus Sent, 2018 im Magazin «Du 881» auf die Frage, weshalb er als Künstler-Nomade von fernen Welten dermassen angezogen wird. Gerade für uns «Alte» besteht immer mehr die Gefahr, vom aktuellen Geschehen abgehängt zu werden. Wir müssen unsere Erfahrung anlässlich physischer Treffen einbringen können. Ausschliesslich virtuelle Begegnungen aus der Quarantäne, das zeigt sich derzeit beim amerikanischen Präsidenten, entfalten wenig Wirkung. Der persönliche Kontakt fördert die Kreativität und das wiederum begünstigt Innovationen und bringt uns als Gesellschaft weiter. Mehr dazu in meinem Blog vom 18. Januar 2021.
Das Ende des Corona-Biedermeiers
Im Essay von David Biner mit dem Titel «Bitte bleiben Sie nicht mehr zu Hause!», NZZ vom 2. Februar 2022, anlässlich dem Ausstiegsszenario der Regierung aus der Corona-Pandemie, geht es um Erkenntnisse der letzten 24 Monate. Die Zeit des Corona-Biedermeiers ist vorbei, schreibt er, in einem Abgesang auf die eigenen vier Wände – dem Home-Office. «Natürlich gibt es auch Vorteile: Viele Sitzungen lassen sich in Zukunft weiterhin über diese Kacheln auf dem Bildschirm abhalten. Man muss nicht für jedes bilaterale Gespräch und jedes «Weekly» durch die halbe Schweiz reisen. Beruf und Familie lassen sich besser vereinbaren, wenn der Chef nicht mehr jeden Tag auf Präsenz im Büro pocht.»

Flexibilität hat ihren Preis
Der Preis für diese Flexibilität ist oft der Anspruch von Arbeitgebenden auf unsere Verfügbarkeit. Wir sind jederzeit erreichbar. Die Digitalisierung ermöglicht es, unsere Arbeit mit nach Hause zu nehmen, oder von unterwegs zu erledigen. In der heimlichen Hoffnung auf mehr Freizeit, haben wir uns ein Stück weit selbst betrogen. Der ewige Sonntag wird so zum ewigen Montag, Corona hat diesen Trend beschleunigt. Biner verweist noch auf eine andere Selbsttäuschung, deren Entlarvung schmerzhafter ist. Wenn die Pflegefachpersonen, die Polizeibeamten, die Bauarbeiter, die Busfahrer und Lokführerinnen, die Landwirte, die Lehrerinnen, der Beck – wenn die systemrelevanten Berufe allesamt rausmussten, was bedeutet das für den Job am Küchentisch? Wenn es nicht mehr darauf ankommt, ob jemand vor Ort sein muss oder zu Hause bleibt, können gewisse Aufgaben einfach ausgelagert werden. An einen Ort, wo die Löhne tiefer und der Hunger grösser ist. Handelt es sich also um einen Bullshit-Job, einen Beruf also, der niemandem nützt? Immer mehr Roboter/Softwareprogramme übernehmen Routinetätigkeiten, wie das Ausfüllen der Steuererklärung, Kundenbetreuung oder die Buchhaltung.
Hybride Arbeitsmodelle auch in Zukunft
Benjamin Triebe, NZZ vom 1.Februar 2022, berichtet über die Erfahrungen aus Grossbritanien, wo sich hybrides Arbeiten in den Büroetagen der Londoner City schon fest etabliert hat. Das Pendeln zwischen Home-Office und Büro bringt eine neue Flexibilität. Wie die Führungskräfte darauf reagieren, ist wichtiger denn je. «Die Beschäftigten haben die Oberhand, zum ersten Mal seit Generationen. Sie werden gehen, wenn ein Unternehmen sich nicht flexibel zeigt», sagt Shivani Maitra, die für die Unternehmensberatung Deloitte den Wandel in den britischen Büros beobachtet. Das Stigma, welches vorher mit dem Home-Office verbunden war, ist durch die Pflicht von zuhause aus zu Arbeiten verschwunden. Die Mitarbeitenden können daheim durchaus produktiv sein und bitten die Arbeitgebenden, ihnen weiterhin zu vertrauen. Viele Firmen überlassen es den Führungskräften, zusammen mit ihren Teams zu entscheiden, welche Balance zwischen Büro und Fernarbeit für welchen Job am besten geeignet ist.
«Chefs» favorisieren immer noch das Büro
Die Herausforderung liegt, gemäss den Erhebungen der Unternehmensberatung Accenture darin, das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Die grössten Vorteile des Büros sind der leichtere Zugang zu Ausrüstung und Material, der persönliche Austausch mit Arbeitskolleg:innen, die Vorteile der Routine und die Stimulation durch eine veränderte Umgebung. Dagegen gelten Sicherheit, Lebensqualität und Freiheit als die grössten Pluspunkte im Home-Office. Die Personalexpertin Shivani Maitra misst am Verhalten der Führungskräfte, wie erfolgreich hybrides Arbeiten wird. Das gilt auch für einen ausserordentlich heiklen, aber sehr wichtigen Bereich: Belohnung und Beförderungen. Mitarbeitende befürchten, dass das Management jene Kolleg:innen bevorzugt, die sie um sich herum im Büro wahrnehmen. Gerade die älteren Führungskräfte bevorzugen das Büro als Arbeitsort, im Gegensatz zu vielen jüngeren Mitarbeitenden. Die Kluft zu den Jüngeren ist gross. «Senior-Manager beziehen ihr Statusgefühl daraus, dass sie ihr Team um sich haben», so Maitra. Dabei geht es nicht nur um den drohenden Verlust an Kontrolle, unter anderem weil Mikromanagement im Home-Office sehr schwierig ist, sondern um den Erhalt der Firmenkultur. Eine grosse Rolle spielt auch der Einsatz von Technologie. Firmen benutzten im Durchschnitt sieben Programme, um das Arbeiten aus der Ferne möglich zu machen. Reibungslos funktioniert das oft noch immer nicht. Hybrides Arbeiten wird sich bestimmt weiterentwickeln, und es wird uns erhalten bleiben.
«kompetenz60plus.ch»
Mit unserer Erfahrung aus der analogen, zusammen mit Erkenntnissen aus der digitalen Welt, sind wir «Alten» gerne bereit, diese mit KMU’s oder im Team mit jungen Forschenden und Wissenschaftern auf Augenhöhe zu teilen. «kompetenz60plus.ch» ist ein Sammelbecken für kompetente Senioren, die sich aktiv an der Diskussion über die Zukunft beteiligen wollen. Bitte bringen Sie sich ein und registrieren Sie Ihre Kompetenz kostenlos hier. Wir freuen uns auch über Ihre Kontaktnahme per Mail an: werner@kompetenz60plus.ch, oder hinterlassen Sie Ihren Kommentar weiter unten. Danke!
Werner K. Rüegger, dipl. Arch. SIA AIA
Projektadministrator und Initiator
Ein Projekt «von uns. für uns.»
Web: kompetenz60plus.ch I Mail: werner@kompetenz60plus.ch I
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