Wenn Bewerber mit 45 schon «zu alt» sind
Viel Beachtung fand ein Hinweis auf LinkedIn zum Beitrag von Felicitas Wilke (32) in der Süddeutsche Zeitung vom 1. September 2022, mit dem Titel «Wenn Bewerber mit 45 schon ‹zu alt› sind». Mein Re-post generierte seither rekordverdächtige 1’911 Impressionen und viele Kommentare. Felicitas Wilke bezieht sich unter anderem auf eine Umfrage von «Indeed.com», gemäss der 45% der Bewerbenden ab 45 Jahren aufgrund ihres Alters bei der Jobsuche benachteiligt sind. Indeed ist im Eigentum der japanischen Muttergesellschaft, Recruit Holdings Co., Ltd, und mit monatlich 250 Millionen Besuchenden die weltweit führende Jobseite. Die Firma hat dazu Personalverantwortliche befragt, mit dem Ergebnis, dass diese klare Altersfilter im Auswahlprozess haben: 25% von ihnen halten Menschen über 60 generell für zu alt für die ausgeschriebenen Stellen. 20% halten Menschen über 55 generell für zu alt und satte 8% geben Bewerbenden über 45 keine Chance mehr. In Deutschland sind knapp 32 Millionen Menschen (also fast 40% der Gesamtbevölkerung) älter als 55 Jahre.
«Alte» sollen länger bleiben, dank Fachkräftemangel
Erwähnung findet auch Martina Schmeink, Geschäftsführender Vorstand im Demographie Netzwerk. Sie findet: «Obwohl heute viel mehr Menschen über 60 noch aktiv und erfolgreich im Beruf stehen, halten sich bestimmte Stereotype hartnäckig». Uns «Alten» spricht man gerne mal die Lernfähigkeit ab – oder digitale Kompetenzen. Viele Arbeitgebende haben jedoch die Zeichen der Zeit erkannt und versuchen zumindest ihre älteren Arbeitnehmenden so lange wie möglich zu binden, über Gesundheitsangebote oder flexible Arbeitszeitmodelle. Dabei setzt beispielsweise die Deutsche Bahn in ihrer Wortwahl für Stellenausschreibungen bereits auch auf ältere, «erfahrene» – Arbeitnehmende und hat angeblich in 2021 mehr als 2300 über 50-Jährige eingestellt.
Welche Erfahrungen haben Sie in Bewerbungsprozessen gemacht?
Zwei Kommentare dazu aus LinkedIn:
- «Es macht mich nachdenklich, dass ich zu alt empfunden werde…hier wird vorausschauend nicht nachhaltig mit der derzeitigen Situation auf den Arbeitsmarkt umgegangen. Ab 45 hat man nach heutigem Stand die Erfahrung die man benötigt um Situationen zu meistern und noch genug Jahre vor sich diese auch nachhaltig einzubringen.»
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«Kann ich nur nachvollziehen. Nachdem ich mich vor 4 Jahren plötzlich wieder auf dem Arbeitsmarkt umsehen musste und nur Absagen bekommen habe, hatte ich sehr schnell den Entschluss gefasst die Flucht nach vorne anzutreten. Nun bin ich erfolgreicher Unternehmer mit 58. Ich kann aber verstehen, dass ich kein Paradebeispiel abgebe, da nicht jeder die Kraft aufbringt, sich nochmal neu zu erfinden. Ich kann nur jeden/m Älteren Mut zu sprechen. Konzentriert Euch auf das was Ihr am Besten könnt. Kontakte und viel Erfahrung bringt Ihr sowieso schon mit.»

Wenn Algorithmen den Lebenslauf prüfen
Im NZZ Folio vom 2. September 2022, beschreibt Barbara Klingbacher, wie heutzutage oft künstliche Intelligenz (KI) über die Stellenbesetzung entscheidet. Bis in zwei Jahren, sagt die Marktforschungsfirma International Data Corporation voraus, werden 80 Prozent der 2’000 weltweit grössten Unternehmen KI einsetzen, um Mitarbeitende einzustellen. Bereits heute kann sich hinter jedem Bewerbungsschritt ein Algorithmus verbergen. Er hilft zum Beispiel dabei, eine Stellenausschreibung optimal zu formulieren. Viel einschneidender aber ist, dass Maschinen darüber entscheiden, wer diese Ausschreibung überhaupt sehen wird. Auch den sorgsam aufgesetzten Lebenslauf und das geschliffene Motivationsschreiben sieht in vielen Unternehmen kein Mensch. Stattdessen prüfen Algorithmen die Unterlagen und erstellen ein Ranking der Kandidatinnen und Kandidaten. Da hilft es, die Mechanismen hinter diesen Abläufen besser zu verstehen damit man der Maschine genau das gibt, wonach sie verlangt: Schlüsselbegriffe zu Fähigkeiten, Erfahrungen oder Charaktereigenschaften, die in der Jobbeschreibung vorkommen. Ergänzt man seine Textbausteine mit unterschiedlich vielen Wörtern oder Satzfragmenten aus der Stellenbeschreibung, beeinflusst dies die Bewertung positiv.
Bitte nett lächeln
Gut möglich, dass uns auch beim Vorstellungsgespräch eine Maschine begrüsst, schreibt Barbara Klingbacher weiter. Die Software von Hirevue, einem Vorreiter der Branche, wurde im ersten Halbjahr 2022 in fast 4 Millionen Jobinterviews eingesetzt. Bewerbende sitzen vor dem Computer, während die Maschine programmierte Fragen stellt, nach Stärken, Schwächen. oder dem Umgang mit Stress. Aus den Antworten soll die KI berechnen, wie gut jemand zur Stelle passt und was er oder sie für eine Persönlichkeit hat. Dabei ist auch wichtig in welchem Ton man auf die Fragen antwortet und ob man genügend lächelt, denn KI kann anhand der Stimme oder der Mimik die Persönlichkeit und die wahren Gefühle erkennen, so das Versprechen. Ob einem die Maschine nicht schon vor dem Gespräch zugeordnet hat, lässt sich mit Bestimmtheit nicht feststellen. Im Technologiebeitrag der NZZ vom 10. September 2022, mit dem Titel «Das Ende der Anonymität: Wie eine Suchmaschine für Gesichter unser Leben verändern könnte» beschreibt Ruth Fulterer wie solches funktioniert. Unser Gesicht verratet uns, indem die Technologie zu jedem Gesicht gleich die Social-Media-Kontakte und weitere Informationen einblenden könnte. Sobald unser Bild im Internet landet, wird man uns für immer damit in Verbindung bringen können.
«kompetenz60plus.ch»
Mit unserer Erfahrung aus der analogen, zusammen mit Erkenntnissen aus der digitalen Welt, sind wir «Alten» gerne bereit, diese mit KMU’s oder im Team mit jungen Forschenden und Wissenschaftern auf Augenhöhe zu teilen. «kompetenz60plus.ch» ist ein Sammelbecken für kompetente Senioren, die sich aktiv an der Diskussion über die Zukunft beteiligen wollen. Bitte bringen Sie sich ein und registrieren Sie Ihre Kompetenz kostenlos hier. Wir freuen uns auch über Ihre Kontaktnahme per Mail an: werner@kompetenz60plus.ch, oder hinterlassen Sie Ihren Kommentar weiter unten. Danke!
Werner K. Rüegger, dipl. Arch. SIA AIA
Projektadministrator und Initiator
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