Arbeiten an der Arbeit
In den vergangenen Jahren haben digitale Technologien und die Automatisierung vor allem Routinetätigkeiten ersetzt – Aufgaben, welche nach klaren Vorschriften ausgeführt werden können. Vermehrt sind Leute gefragt, die Probleme analysieren und Entscheidungen treffen. «Vielleicht können wir mit KI die Jobs von dem befreien, was sie mühsam macht» sagt Prof. Dr. Thilo Stadelmann von der ZHAW. All dies führt unweigerlich zu einer Debatte über den Sinn von Arbeit. «Macht dich harte Arbeit wirklich zu einem guten Menschen?» fragt Dr. Azim Shariff, Sozialpsychologe an der University of British Columbia im TED@Destination Canada-Talk. Angesichts der Diskussionen um künstliche Intelligenz KI scheint mir diese Frage zentral. Wenn unsere Arbeit durch eine fortschrittliche Software, welche die Arbeit kostenlos und in gleicher oder besserer Qualität erledigt, überflüssig wird, weshalb arbeiten wir dann weiter? Diejenigen, die weiter arbeiteten, werden für weniger kompetent – ja sogar als Trottel – angesehen. Und trotzdem, auch wenn die Arbeit keinen Mehrwert bietet, sehen wir im Weitermachen auch etwas tugendhaftes, etwas moralisches in der Anstrengung. Azim Shariff und seine Mitarbeitenden haben dazu an der Arbeit selbst gearbeitet. Und in einer Studie nach der anderen stellten sie fest, dass Menschen der Anstrengung einen moralischen Wert beimessen, unabhängig davon, was diese Anstrengung hervorbringt. Eine fleissig arbeitende Person wird als moralischer und dadurch als besserer Kooperationspartner angesehen, auch wenn sie keinen Mehrwert bot.

Moralisierung der Arbeit
Grosszügigkeit und hartes Arbeit gehen gemäss Shariff Hand in Hand mit einem guten Charakter. Diese intuitive Verbindung zwischen Anstrengung und Moral scheint nicht die Eigenart einer bestimmten Kultur zu sein, sondern möglicherweise etwas sehr Tiefgründiges. Jemand, der bereit ist zu zeigen, dass er sich auch bei bedeutungslosen Aufgaben Mühe gibt, ist jemand, der jemandem eher helfen wird. Wir alle versuchen, uns mit Menschen zu umgeben, die uns im Notfall helfen, die nicht nachlassen und die Dinge fair teilen. Eigenschaften wie Grosszügigkeit, Selbstbeherrschung oder harte Arbeit als moralische Eigenschaft, machen auch uns «Alte» zu besseren Kooperationspartnern. Harte Arbeit kann äusserst sinnvoll sein, wenn sie einem Zweck dient. Harte Arbeit baute die Zivilisation auf. Heute verwenden wir viel Mühe darauf, unseren eigenen moralischen Ruf aufzubauen, um andere Menschen davon zu überzeugen, dass wir harte Arbeiter sind.
Aktivität statt Produktivität – Workismus
Was auf individueller Ebene sinnvoll ist, kann auf der gesellschaftlichen Ebene immer noch sehr problematisch werden. Unsere Intuition, dass Anstrengung um ihrer selbst willen gut ist, unabhängig davon, was sie hervorbringt, hat ein Arbeitsumfeld mit perversen Anreizen geschaffen. Wenn wir also anfangen, Wert auf Aktivität statt auf Produktivität zu legen, kümmern wir uns mehr darum, ob jemand ein harter Arbeiter ist, als darum, was diese Arbeit erreichen sollte. Und dies kann mit sehr hohen Kosten verbunden sein. Azim Shariff beruft sich dabei auf zwei Beispiele: Der Anthropologe David Graeber (1961-2020), der sich fragte, wie der Kapitalismus so viele sogenannte «Bullshit-Jobs» aufrechterhalten konnte. Dabei handelt es sich um Jobs, bei denen selbst die Menschen, die die Arbeit ausführen, sie als sinnlos ansehen und nichts von gesellschaftlichem Wert erreichen. Oder was der Journalist Derek Thompson (36) «Workismus» nennt. Dabei geht es darum, dass unser Job nicht nur die Quelle unseres Lohns ist, sondern auch die Quelle unserer Identität und ein Weg zur Selbstverwirklichung.
Was ist KI überhaupt?
Martin Vetterli (65), Präsident der ETH Lausanne, spricht im Interview mit Hannes Grassegger, Tages Anzeiger Magazin vom 12. Mai 2023, über künstliche Intelligenz KI. Martin Vetterli ist Professor für Informatik und Kommunikation an der EPFL. Nach seinem Abschluss an der ETH Zürich, studierte er 1982 «digital signal processing» (Signalverarbeitung) im kalifornischen Silicon Valley an der Stanford University. KI ist letztlich Algorithmen plus Daten, erklärt er. Algorithmen sind Verknüpfungen von Handlungsanweisungen. Und ein lernfähiger Algorithmus lernt aus den Daten, die er verarbeitet, er bildet sich fort. Das nennt man maschinelles Lernen, oder eben populär: KI. Auf die Frage ob wir am Beginn eines neuen Zeitalters stehen und was das mit uns machen wird, soll jemand überhaupt noch an der EPFL studieren und Physik oder Coding lernen, ist für ihn klar: «Sie müssen ja überprüfen können, ob die KI richtigliegt. Kritisches Denken lernt man bei uns, und das wird immer wichtiger, je schneller der Fortschritt ist». Das Rechnen einfach den Maschinen zu überlassen kommt für ihn nicht in Frage, denn er ist ein Anhänger von «harten Problemen». Wie viele von uns «Alten» glaubt er an den Wert harter Arbeit. Wer nie an einem schwierigen Problem gearbeitet hat, wird ein verwöhnter Mensch. Dieser denkt, alles sei einfach, und irgendwann steht er vor einem schwierigen Problem und ist froh über gewisse Grundfähigkeiten wie das Einmaleins, bei dessen lernen wir eine gewisse Merktechnik entwickelten. Solch harte Probleme können alles Mögliche sein, auch manuelle Fähigkeiten.

Halluzinierende Maschinen in der KI
«AI machines aren’t «hallucinating». But their makers are» (KI-Maschinen «halluzinieren» nicht. Aber ihre Macher tun es), schreibt Naomi Klein in The Guardian vom 8. Mai 2023. Tech-CEOs möchten uns überzeugen, dass generative KI der Menschheit zugute kommen wird. Sie machen sich selbst etwas vor, stellt die Kanadierin Naomi Klein (53) fest. Sie ist Kolumnistin und Gastautorin des Guardian in den USA, Bestsellerautorin von «No Logo» und «The Shock Doctrine», sowie Professorin für Klimagerechtigkeit und Co-Direktorin des Centre for Climate Justice an der University of British Columbia. «Niemand auf diesem Gebiet hat die Halluzinationsprobleme bisher gelöst», sagte Sundar Pichai, der CEO von Google und Alphabet, kürzlich einem Interviewer. Das stimmt zwar, meint Naomi Klein und fragt, warum nennt man die Fehler überhaupt «Halluzinationen»? Warum nicht algorithmischer Schrott? Oder Störungen? Nun, Halluzination bezieht sich auf die mysteriöse Fähigkeit des menschlichen Gehirns, Phänomene wahrzunehmen, die nicht vorhanden sind, zumindest nicht in herkömmlichen, materialistischen Begriffen. Durch Aneignung des Begriffs aus der Psychologie wird jedoch eine belebte Intelligenz suggeriert, die kurz davor steht, einen Evolutionssprung für unsere Spezies auszulösen.
KI wird uns von der Schinderei befreien
Wer mag schon Arbeit? Generative KI wird nicht das Ende der Beschäftigung sein, wird uns gesagt, sondern nur das von «langweiliger Arbeit». Chatbots werden hilfreich alle seelenzerstörenden, sich wiederholenden Aufgaben erledigen und wir Menschen werden sie lediglich beaufsichtigen. Sam Altman (38), der CEO von OpenAI – Erschöpfer von ChatGPT – seinerseits sieht eine Zukunft, in der Arbeit «ein umfassenderes Konzept sein kann, nicht etwas, das man tun muss, um essen zu können, sondern etwas, das man als kreativen Ausdruck und als Weg zur Erfüllung und zum Glück tut». Für Naomi Klein bedeutet eine Welt ohne schlechte Jobs aber, dass die Miete kostenlos sein muss, die Gesundheitsversorgung kostenlos sein muss und jeder Mensch unveräusserliche wirtschaftliche Rechte haben muss. Und dann reden wir plötzlich gar nicht mehr über KI, sondern über Sozialismus.
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Werner K. Rüegger, dipl. Arch. SIA AIA
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