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#271 – Syn-Bio verändert Produkte und Prozesse

Wissenschaft, Politik und Wirtschaft
Fortschritt ist nicht allein eine ökonomische Angelegenheit. Wir «Alten», aufgewachsen in den 1960er und 1970er Jahren, wähnten uns in der Welt eines unbegrenzten (wirtschaftlichen) Fortschritts. Publikationen wie «Die Grenzen des Wachstums» des Club of Rome (1972) forderten der Natur zuliebe, mit einem Mal Einschränkungen unserer Wirtschaftsaktivitäten. Verschiedenste Ereignisse und Entwicklungen unterminieren seither unser visionäres Denken. Es geht um Schadensbegrenzung und Besitzstandswahrung wenn wir um die Klimaziele feilschen, oder den Planeten wenigstens vor seiner kompletten Zerstörung bewahren wollen. Dabei wären wir «Alten», dank unserer Erfahrung und Vernunft geradezu prädestiniert, zusammen im Team und mit dem Wissen der «jungen Wilden», mehr Verantwortung zu übernehmen. Eine Publikation der BCG Boston Consulting Group vom 10. Februar 2022 hat meine Neugierde geweckt und zeigt, wie intensiv sich die Wissenschaft, weit weg von Politik und Wirtschaft, mit unserer Zukunft befasst. Darin beschreiben François Candelon, Matthieu Gombeaud, Georgie Stokol, Vinit Patel, Antoine Gourévitch und Nicolas Goeldel, wie synthetische Biologie (Syn-Bio) kurz davor steht, wichtige Branchen zu revolutionieren. Wir «Alten» sollten uns mit dieser faszinierenden Technologie bekannt machen, zumal Wirtschaft, Politik und Wissenschaft bisher eher in getrennten Sphären agieren. Das hat der Kampf um die Deutungshoheit während der Corona-Pandemie klar gezeigt.

Taipei Performing Arts Center Taiwan, 2022. Office for Metropolitan Architecture – Rem Koolhaas (78) and David Gianotten (48). Bild © OMA, Chris Stowers

Neue Produktionsmethoden mittels DNA-Bearbeitung
Wenn Unternehmen überleben wollen, müssen sie lernen, Syn-Bio zu nutzen, schreiben die Autoren, um einen im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Ähnlich den veränderten Prozessen als Folge von Daten- und Cloud-Computing, werden neue Produktionsmethoden mittels DNA und DNA-Bearbeitung (Genombearbeitungstechnologien) geschaffen und voraussichtlich bis zum Ende des Jahrzehnts in grossem Umfang in Fertigungsindustrien eingesetzt. Die Autoren prognostizieren, dass etablierte Unternehmen in Bereichen wie Gesundheit und Schönheit oder medizinische Geräte und Elektronik in den nächsten fünf Jahren von Syn-Bio-Konkurrenten herausgefordert werden – wie es die Pharma- und Lebensmittelindustrie in der jüngsten Vergangenheit vorgemacht hat. Andere Branchen wie Chemie, Textil, Mode und Wasser, auf die bereits viele Start-ups zielen, erhalten mittelfristig eine kostenbasierte Konkurrenz durch Syn-Bio-Alternativen, langfristig gefolgt von Branchen wie Bergbau, Strom und dem Baugewerbe.

Taipei Performing Arts Center, 2022, Office for Metropolitan Architecture OMA / Rem Koolhaas und David Gianotten

Syn-Bio-Pioniere
Die Grenzen von Syn-Bio werden sich gemäss der Publikation erweitern, da das weltweite Wissen über Biologie zunimmt, die Kosten für das Schreiben und Bearbeiten von DNA sinken und die Synthetisierungswerkzeuge immer einfacher zu bedienen sind. Es entstehen neue Produkte und Verfahren, die nach Science-Fiction klingen, aber reif für den Massenmarkt sind. Darüber hinaus entwickeln die Syn-Bio-Start-ups nachhaltigere Produkte, die weniger Ressourcen wie Land und Wasser verbrauchen und keine fossilen Brennstoffe und deren Derivate verwenden. Diese Produkte sind auch langlebiger, erzeugen nach Gebrauch weniger Abfall und sind in den meisten Fällen gesünder für die Menschen. So wie die Synthese im letzten Jahrhundert die Chemie und das Chipdesign die Computertechnik veränderten, haben Biologen auf den Fortschritten in der Molekular-, Zell- und Systembiologie aufgebaut, um die Wissenschaft von einer analytischen in eine technische Disziplin zu verwandeln. Während Hardware-Ingenieur:innen neue integrierte Schaltkreise und Mikroprozessoren basierend auf den physikalischen Eigenschaften von Materialien entwerfen, können Biolog:innen Syn-Bio-Systeme bauen, die Unternehmen dabei helfen, Produkte, Prozesse oder beides zu ändern. Somit nutzen die Syn-Bio-Pioniere die Wissenschaft, um ihre Ziele zu erreichen.

Querschnitt durch das Taipei Performing Arts Center, 2022, Office for Metropolitan Architecture OMA / Rem Koolhaas und David Gianotten

Syn-Bio als Störefried in traditionellen Branchen
Das für mich eindrücklichste Beispiel kommt aus der Bergbauindustrie. Hier beschreiben die Autor:innen wie zur Goldgewinnung für die Herstellung eines Eherings bis zu 20 Tonnen Abfall und Toxine entstehen. Die bereits heute verfügbaren Syn-Bio-Prozesse (Bio-Laugung) dagegen extrahieren Metalle wie Kupfer, Zink, Blei, Arsen, Antimon, Nickel, Molybdän, Gold, Silber und Kobalt aus Sulfidkonzentraten unter Verwendung von Wasser, Luft und vor allem lebenden Mikroorganismen, anstelle der «Haufenlaugung» mit alkalischem Zyanid. Alternativen im Bereich Nylonteppiche, Kleidung, Autoinnenausstattungen, technischen Kunststoffen und Lebensmittelverpackungen ergeben sich durch die Entwicklung eines auf Mikroorganismen basierenden Produktionsprozesses. Anstelle von Erdöl wird beispielsweise fermentierter Pflanzenzucker eingesetzt. Aus der Bauwirtschaft kennen wir die Versuche mit Myzelien, den fadenförmigen Zellen von Pilzen. Aus dem Wurzelwerk der Pilze wachsen Bausteine, die sich zu selbsttragenden, architektonischen Strukturen aufeinanderschichten lassen. Nachwachsende Baustoffe wie Myzelien oder Bambus könnten künftig konventionelle Materialien, wie den Armierungsstahl im Beton ersetzen. Viele Pilze nutzen ihr Myzel, um durch dieses elektrische Impulse zu leiten. Eine Theorie besagt, dass der Zweck der elektrischen Signale unter anderem in der Übertragung von Informationen liegt. Demzufolge wären sie ein Mittel in der Kommunikation – ermöglichten kommunizierende Baustoffe?

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Werner K. Rüegger, dipl. Arch. SIA AIA
Projektadministrator und Initiator


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