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#209 – Hand- und Kopfkompetenzen

Nur die Besten sind erfolgreich
Ihr Paket wurde heute Samstag um 07.17 Uhr geliefert, stand in der «Pushmeldung» von Swisspost auf meiner Apple-Uhr beim Aufstehen. Mir wird erneut bewusst, wie sehr wir auf Mitmenschen angewiesen sind, die uns diesen Luxus ermöglichen, bei jedem Wetter und schon Frühmorgens. Es stellt sich unweigerlich die Frage nach der «Wichtigkeit» und dem gesellschaftlichen «Stellenwert» einer Tätigkeit. Bei der morgendlichen Lektüre dann auch gleich der Beitrag zum Thema von Martin Beglinger, NZZ vom 27. Februar 2021: «Sind die Schlauen zu mächtig?» Er schreibt über den Bildungsgraben, der sich auch in der Schweiz auftut. Basis für seine Betrachtung bildet das neue Buch des britischen Sachbuchautors David Goodhart (65), mit dem Titel. «Kopf, Hand, Herz». Es ist eine Gesellschaftsanalyse zum Verhältnis von Kopfarbeit, Handwerk und sozialen Berufen. Goodharts zentrale These geht so: «In den wohlhabenden Nationen haben wir ein sehr begrenztes Spektrum von Fähigkeiten – die kognitiv-analytischen ‹Kopf-Kompetenzen› – zu stark honoriert, und zwar finanziell wie gesellschaftlich. Wir haben die Definition eines gelungenen Lebens zu eng gefasst und den Weg dorthin mit dem Studium zu schmal gestaltet. (. . .) Im Namen von Effizienz, Gerechtigkeit und Fortschritt wurden Formen des Wettbewerbs eingeführt, in denen die Besten erfolgreich sind, während sich der grosse Rest als Versager fühlen darf.»

Zweiter Abbruch, Mythenschloss Zürich, SwissRE, 1988-2021, geplanter 3. Neubau bis 2025, Bild: WKR

Elitäre Nomaden
Die Gewinner dieser Entwicklung bezeichnet Goodhart als «kognitive Klasse» von zumeist akademisch Gebildeten. Verlierer sind die traditionellen nichtakademischen Berufsleute, vom Buschauffeur über die Supermarktkassiererin bis hin zur Pflegerin im Altersheim, die sich zunehmend unverstanden und alleingelassen fühlen. Im Corona-Jahr haben sie zwar für einmal Applaus eingeheimst. Doch für wie lange? In seinem 2017 erschienenen Buch «The Road to Somewhere» beschreibt er eine tiefe weltanschauliche Kluft zwischen den urbanen, kosmopolitischen, zumeist akademisch gebildeten Eliten der Wissensgesellschaft. Er nennt sie die «Anywheres», weil sie im Grunde überall leben könnten. Auf der anderen Seite stehen die «Somewheres», also die traditionelle Mittelklasse, weniger gebildet, aber stärker verwurzelt. Die Somewheres suchen Sicherheit und schätzen das Vertraute, sie wollen und können im Unterschied zu den individualistischen Anywheres nicht einfach weg, wenn es ihnen nicht mehr passt, denn sie hängen am Lokalen und orientieren sich am Nationalen.

Die KMU-Schweiz lebt!
Martin Beglinger sieht einen rapiden Anstieg der akademischen Mittelklasse, speziell in den Schweizer Städten, eine Verdreifachung auf 30 Prozent innerhalb einer Generation. 52 Prozent der Bevölkerung haben in der Stadt Zürich mittlerweile einen Hochschulabschluss, von den 25- bis 45-Jährigen sind es sogar 70 Prozent. Die Schweizer Hochburg der Anywheres, um es mit Goodhart zu sagen, ist das Zürcher Seefeldquartier mit einem Akademikeranteil von 70,4 Prozent. Ich stelle mir eine «Home-Office-Blase» vor, die sich bei schönem Wetter für einige Stunden Richtung See bewegt. Die TrägerInnen der traditionellen Mittelschicht, den Somewheres, in den Agglomerationen und auf dem Land, sind die KMU. Als eine Art Reich der technisch-praktischen Intelligenz, von der familiären Schreinerei bis zum hochspezialisierten Unternehmen. Trotz Pandemie liegt ihre Resilienz nicht zuletzt an der dualen Berufsbildung und ihren Fachhochschulen, dem Gegengewicht zu den universitären Studiengängen. Gerade für viele Junge mit Migrationshintergrund ist die KMU-Schweiz ein grosses Feld mit Aufstiegsmöglichkeiten. Dagegen hangeln sich junge AkademikerInnen über Jahre nach dem Studium von Praktikum zu Praktikum.

Wieder Platz für uns «Alte»
Überraschend optimistisch sieht David Goodhart die Zukunft für Hand und Herz. Gerade Corona habe gezeigt, dass viel Handarbeit ortsgebunden sei und das Lokale wichtig bleibe – erst recht in der Pflege und der Erziehung. Emotionale Intelligenz, also Mitgefühl, Beziehungsfähigkeit oder Verhandlungsgeschick, werde in Zukunft wichtiger werden, zitiert er mehrere Experten. Wir «Alten» müssen diese Chance packen um unsere Erfahrung und Lebensweisheit den jüngeren Generationen zur Verfügung zu stellen. Denn vorbei ist die Zeit wo man, wenn man das Rentenalter erreicht, eine goldene Uhr von der Firma bekommt und sich auf den Weg macht, um sich ganztägig zu entspannen. Immer mehr «Alte» arbeiten gerne weiter – zumal sie dies dank Technologie auch von zu Hause aus tun können. Bei einer Lebenserwartung für Männer von bis zu 85 Jahren und Frauen bis 87 Jahren sind 20 Jahre «Ruhestand» kaum zu verantworten. Viele von uns arbeiten Teilzeit, gründen nochmals ein eigenes Unternehmen oder bilden sich weiter, um etwas anderes auszuprobieren. In Grossbritanien, gemässe einem Artikel in der Daily Mail vom 17. Februar 2021, sind 11 Prozent der über 65-jährigen noch erwerbstätig. 44 Prozent dieser Menschen tun dies gemäss Umfrage nicht aus finanziellen Gründen, sondern weil es ihnen Spass macht, noch gebraucht zu werden. Speziell das Arbeit von zu Hause erleichtert diesen Trend, wie die Erfahrungen aus dem Lockdown zeigen.

Krisenerprobte und kompetente «Alte»
«kompetenz60plus.ch» ist ein Sammelbecken für kompetente Senioren, die sich ihrer Verantwortung gegenüber der jüngeren Generation bewusst sind und sich aktiv an der Diskussion über die Zukunft beteiligen wollen. Wir «Alten», Frauen und Männer, im Team auf Augenhöhe mit den «jungen Wilden», stellen unsere Erfahrung mit Leidenschaft zur Verfügung. Bitte bringen Sie sich ein und registrieren Sie Ihre Kompetenz kostenlos hier. Wir freuen uns auch über Ihre Kontaktnahme per Mail an: werner@kompetenz60plus.ch, oder hinterlassen Sie Ihren Kommentar weiter unten. Danke!

Werner K. Rüegger, dipl. Arch. SIA AIA
Projektadministrator und Initiator


Ein Projekt «von uns. für uns.»
Web: kompetenz60plus.ch I Mail: werner@kompetenz60plus.ch I
Linkedin: kompetenz60plus.ch | facebook: wernerkruegger

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